Less is more – wenn Nachhaltigkeit kein leeres Versprechen bleibt. Ein Gespräch mit Christoph Thun-Hohenstein

Christoph Thun-Hohenstein war bis zum 11. Juli 2021 zehn Jahre lang der Direktor des Museums für Angewandte Kunst, kurz MAK, in Wien. Das Thema Nachhaltigkeit ist für ihn ein Lebensprojekt und spiegelt sich in seinem privaten wie beruflichen Alltag wider. Wir haben mit ihm über die Themen Nachhaltigkeit und Greenwashing im Kunstsektor, die Klimaneutralität des Museums, Klima-Kunst im Allgemeinen und seine persönlichen Ziele gesprochen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Kunst kann Menschen berühren und dort erreichen, wo die Wissenschaft an ihre Grenzen stößt.
  • Kunst kann die Klimafrage sichtbar machen.
  • Es bedarf dringend mehr guter Kunst, die sich mit Umweltfragen beschäftigen und exzellente Kunst schaffen.
  • Die Verringerung von Emissionen von Ausstellungen wird immer wichtiger, daher muss genau JETZT ein Plan festgelegt werden, um Klimaneutralität zu erreichen.
  • Innovationspotenziale müssen genutzt werden, um die Klima- und Umweltkrise zu bewältigen.
  • Neue Design- und Architektur Avantgarden  können für das Gelingen der Klima-Moderne nützlich sein und die antreiben.
Brittle Space, 2016 Schraubstock, Muschel © Foto- Felix Damian

Lieber Christoph, die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit spielen sowohl privat als auch beruflich eine wichtige Rolle für dich. Gab es irgendwann eine Art “Augenöffner”, der dich in deinem Handeln verändert oder gestärkt hat?

Einen entscheidenden Impuls gab mir sicherlich der Brundtland-Bericht über nachhaltige Entwicklung, der 1987 erschien, wo ich mich gerade an der Österreichischen Vertretung bei der UNO in Genf intensiv mit dem sog. Nord-Süd-Dialog befasst und damit direkt am Puls dieser Thematik eingesetzt war. Als ich im September 2011 Direktor des MAK wurde, war Nachhaltigkeit neben der Digitalisierung und ihren Auswirkungen ein logischer Schwerpunkt meines Programmansatzes.

Seit einigen Jahren schon befasst sich das MAK mit Themenausstellungen zu Nachhaltigkeit. Siehst du dies als Aufklärung der Gesellschaft, Selbstverständlichkeit oder Notwendigkeit?

Die Notwendigkeit einer radikalen Abkehr von der bisherigen, auf fossile Brennstoffe setzenden Industrialisierung bezweifelt mittlerweile kaum jemand mehr. Die entscheidenden Fragen sind: Wie schaffen wir diese Große Transformation und wie wollen wir die Klima-Moderne konkret gestalten? Dies beinhaltet auch, dass wir Digitalisierung und Ökologie zusammenzuführen, indem Innovationspotenziale konsequent für die Bewältigung der Klima- und Umwelt-Gesamtkrise genützt werden.

„… die Klima-Moderne muss nicht unpopuläre Verzichtskultur … sein, sondern bietet die Chance zur umfassenden Gestaltung nachhaltiger Lebensqualität.“

Wie können Kunst und Nachhaltigkeit deiner Meinung nach zusammenspielen?

Der Kunst ihre Freiheit, aber der Zeit ihre Kunst! Die Künste, vor allem Design, Architektur und bildende Kunst, haben fast unbegrenzte Möglichkeiten, sich in unser Zeitalter der Klima-Moderne einzubringen, ohne sich anzubiedern oder instrumentalisieren zu lassen. Gerade dort, wo die Wissenschaften an ihre Grenzen stoßen, sind wir auf Kunstschaffende und Kreative angewiesen, die Klimafrage sichtbar zu machen, alternative Bilder zu entwickeln und neuartige Vorstellungswelten zu eröffnen. Denn die Klima-Moderne muss nicht unpopuläre Verzichtskultur oder eine Spaßbremse sein, sondern bietet die Chance zur umfassenden Gestaltung nachhaltiger Lebensqualität. Ohne die Mitwirkung der Künste werden diese Entwicklungen nicht nur verspätet die erforderliche Dynamik entfalten, sondern auch erheblich inhaltsärmer verlaufen. Wir wären gut beraten, so rasch wie möglich die nachhaltig beste aller Welten zu gestalten.

What if textiles were alive and photosynthesized?, 2018 © Roya Aghighi

Gerade in der Kunstbranche ist die Kritik an sozialen Missständen, Umweltverschmutzung und Klimawandel besonders groß. Viele Künstler*innen versuchen mithilfe ihrer Werke und Performances auf die Problematiken der heutigen Zeit aufmerksam zu machen, agieren dabei aber selbst nicht immer sehr nachhaltig (Kunstinstallationen die danach im Müll landen, Kunstwerke die von überall her eingeflogen werden, Eisskulpturen aus Grönlandeis etc.). Wie empfindest du dieses Verhalten?

Hier besteht natürlich noch viel Luft nach oben. Sobald Kunstinstitutionen beginnen, ihre CO2-Emissionen zu messen, wird hier sehr viel bewusster gehandelt werden, d.h. insbesondere, die Verringerung der Emissionen von Ausstellungen wird ein zunehmend wichtiges Kriterium dafür, welche Werke von wo auf welche Weise herantransportiert werden. Deshalb ist es so wichtig, dass möglichst viele Museen und andere Kunsteinrichtungen JETZT einen ambitionierten Zeitpunkt für ihre eigene Klimaneutralität bestimmen und einen Etappenplan zur Erreichung dieses Ziels festlegen.

Kritiker nennen “Klimakunst” gerne im gleichen Atemzug mit Greenwashing. Wie siehst du diese Kritik an ‘der Kunst auf Klimawandel und Umweltschutz aufmerksam zu machen’?

Ich bin kein Fan des Begriffs „Klimakunst“. Ich glaube, wir brauchen dringend mehr gute Kunst, die sich mit den großen Umweltfragen einschließlich der sozialen Dimensionen auseinandersetzt und dadurch auch die gesellschaftspolitische Relevanz der Kunst demonstriert. Je mehr Künstler*innen sich mit dem Thema befassen, umso größer die Chance, dass dazu exzellente Kunst entsteht.

Welche Auswirkung hat Klimakunst tatsächlich auf die Gesellschaft und ihr Verhalten zu unserem Planeten?

Kunst zur Klimafrage, zum Artensterben und anderen ökosozialen Fragestellungen kann nicht nur die Köpfe der Menschen ansprechen, sondern hat die Kraft, die Menschen „umzudrehen“ – sie emotional zu berühren, zu packen und in ihren Herzen zu erreichen, also genau dort, wo wissenschaftliche Fakten und Prognosen an die Grenzen ihrer Wirkungsmacht stoßen. Ich würde sogar noch ein Stück weiter gehen: Die Künste könnten der Joker sein, der über Erfolg oder Versagen unseres Kampfes gegen den Klimawandel entscheidet.

CLIMATE CARE_© Thomas Wrede/VG Bild-Kunst, Bonn

Galeristen und Kuratoren fliegen für einen kurzen Blick auf ein Werk nicht selten um die halbe Welt, Kunstwerke werden für Messen und Ausstellungen per Flugzeug verschickt und Sammler und Liebhaber reisen mit dem Privatjet an, um es anschließend in einer besonderen Location betrachten zu können, wie nachhaltig ist für dich dieses Vorgehen?

Das ist richtig, aber auch hier beginnt ein Umdenken. Ich kenne viele, die ihre Reisetätigkeit zu Kunstmessen halbiert haben. Hier gilt eine alte Kreativweisheit: Weniger ist mehr. Oft tritt mittlerweile der Online-Besuch und -Kauf an die Stelle einer physischen Reise. Alles mit Maß. 

Was kann die Kunst- und Kulturbranche deiner Meinung nach tun, um Greenwashing zu vermeiden und den Einfluss auf die Gesellschaft zu nutzen, um das Thema Nachhaltigkeit wirklich ernst zu nehmen?

Die ganze Branche muss das Thema noch viel ernster nehmen. Aus diesem Grund habe ich in meinem jüngsten Essay WENIGER EGO IST MEHR ZUKUNFT eine „Leiter der Künste“ für unser Zeitalter der Klima-Moderne vorgeschlagen.

Könnte vermehrter Regionalismus im Kulturbereich Greenwashing eindämmen und sich positiv auf den Klimawandel auswirken?

Verstärkter Regionalismus birgt viele Ansätze, die sich auf den Klimawandel positiv auswirken. Er darf aber nie in Provinzialismus münden. Hybride Formate bieten gute Möglichkeiten, regionale und globale Perspektiven zu verbinden. So wird es immer mehr Diskursveranstaltungen geben, bei denen jene, die mit dem Zug anreisen können, physisch kommen, und weit Entfernte nur online zugeschaltet werden.  

Im kürzlich erschienenen Nachhaltigkeitsbericht des MAK habt ihr verkündet, bis 2030 komplett klimaneutral zu sein. Gratulation hierzu! Könntest du in wenigen Sätzen erklären, wie das bei einem so großen Museum umgesetzt werden kann? (optional: Kennst du die aktuelle Klimabilanz, den Energieverbrauch und den CO2-Fußabdruck des Museums und gibt es besondere CSR Maßnahmen, die ihr verfolgt?)

Ich kann das gerne in den Formulierungen unserer Umweltbeauftragten skizzieren: In einem ersten Schritt werden die CO2-Emissionen des Hauses bzw. der gesamten Organisation erhoben. Die wesentlichen Faktoren im Falle eines Museums sind dabei Energie (Strom, Fernwärme), Mobilität (Mitarbeiter*innen, Besucher*innen), eingesetzte Materialien (IT, Ausstellungsorganisation, Geräte), Abfall und der Shop. Wir berechnen auch gerade konkret die Emissionen der Hauptausstellung des MAK im Rahmen der aktuellen VIENNA BIENNALE FOR CHANGE zum Thema „CLIMATE CARE“. Hier werden zu allen direkt zurechenbaren Faktoren (wie Besucher*innen der Ausstellung, Ausstellungsmaterialen, Dienstreisen im Zusammenhang mit der Ausstellung) auch allgemeine Faktoren umgelegt und hinzugerechnet. So kommt man auf einen Emissionswert für die einzelne Ausstellung.  Ziel ist es, die Key-Treiber zu identifizieren und in der Folge eine Strategie zu entwickeln, wie Emissionen reduziert werden können. Die Anstrengungen gehen vor allem in Richtung umweltfreundliche Mobilität, Ökostrom, Wiederverwendung von Materialien, etc. 

Collective Pain is the Engine of Revolution, 2020 © Courtesy of the artist and KOW Berlin

Durch die monatelangen Lockdowns geht es nun primär darum, möglichst viele Gäste in die Museen zu locken und den Umsatz zu steigern. Kultur bedeutet somit auch Konsum. Kann dieses Vorhaben mit dem Thema Nachhaltigkeit zusammenspielen?

Auch Ernährung bedeutet Konsum. Bedeutsam ist immer die Verhältnismäßigkeit. Es macht eben einen Riesen Unterschied, ob in Wien lebende Menschen zu Fuß, mit dem Rad, mit Öffis oder mit dem eigenen Auto (mit Verbrennungsmotor) zu uns ins Museum kommen. Jede*r kann also dazu beitragen, die CO2-Emissionen des MAK zu reduzieren.

Im Sommer läuft deine 10-jährige Amtszeit als Direktor des MAK aus. Dürfen wir wissen wie es für dich weitergeht und was deine nächsten Schritte sein werden?

Ich möchte unbedingt an der Schnittstelle Künste – Ökologie weiterarbeiten. Darin sehe ich meine Berufung für meine weitere Tätigkeit.

Was denkst du, wohin wird sich die österreichische Kunst- und Designszene in den nächsten Jahren hinentwickeln und welche Rolle spielt dabei Nachhaltigkeit?

Ich möchte diese Frage auf die Architektur erweitern. Design und Architektur sind jene angewandten künstlerischen Sparten, die in der Klima-Moderne besonders gefragt und gefordert sind: Zum einen, weil die öko-soziale Gestaltung der Klima-Moderne ohne sie nicht gelingen kann, zum anderen, weil sich Design und Architektur selbst im Umbruch befinden, um den jetzt an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden. Es geht also darum, ein neues Selbstverständnis dieser Sparten mitzuentwickeln, das ökologisch und sozial zukunftsfähig ist und Innovationspotenziale der Digitalisierung klug zu nutzen weiß. 

Für angewandte Museen ist das eine Riesenchance. Sie können mit ihren Möglichkeiten an der Herausbildung neuer Design- und Architektur-Avantgarden, die es für das Gelingen der Klima-Moderne braucht, mitwirken und diese bei ihren Projekten sichtbarer machen, antreiben und vernetzen. Auch in der bildenden Kunst wünschen wir uns neue Avantgarden, die sich der Klima-Moderne verschreiben, freilich mit dem Unterschied, dass die bildende Kunst frei ist und daher keinen konkreten Nutzen erbringen muss; allerdings lastet mittlerweile auch auf der bildenden Kunst ein gewisser Erwartungsdruck, nicht nur mit Dystopien hervorzutreten, sondern mit Utopien und anderen visionären Ideen konstruktiv zu punkten und sogar konkrete Lösungsvorschläge zur Klima-Moderne zu erarbeiten.

Was ich mir wünsche, ist, dass die bildende Kunst mit Design und Architektur in einen strukturierten Dialog tritt und damit die Einheit der Künste, wie sie der Secession bei ihrer Gründung 1897 vorschwebte, im 21. Jahrhundert aufgreift. Ich werde mich jedenfalls sehr dafür einsetzen, dass Wien und Österreich zu einer von dieser Idee der Einheit der Künste inspirierten kreativen Drehscheibe der Klima-Moderne werden.

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