Wie das Wiener Hilfswerk Blockchain im humanitären Sektor nutzt

Als österreichisches Paradebeispiel zeigt das Wiener Hilfswerk anhand von zwei Pilotprojekten, wie es die Vorteile der Blockchain im humanitären Sektor nutzt, um Transparenz, Vertrauen und Überblick zu fördern.

Ein Interview zu Blockchain im humanitären Sektor mit Simon Kronsteiner vom Wiener Hilfswerk

Herr Kronsteiner, danke, dass Sie sich Zeit für ein Gespräch zum Thema Blockchain im humanitären Sektor genommen haben! Bevor wir in die Materie eintauchen, können Sie mir bitte erklären, was die Mission des Wiener Hilfswerk ist? Und natürlich möchte ich auch Sie und Ihren Hintergrund genauer kennenlernen.

Starten wir mit dem Wiener Hilfswerk – wir sind eine gemeinnützige Organisation, die bedürftige Menschen in deren jeweiligen Lebenssituation unterstützt. Hierfür bieten wir mobile Pflegedienste, Kinderbetreuung, Wohnungslosen- und Flüchtlingshilfe, sowie Einrichtungen für ältere Mitmenschen, Menschen mit und ohne Behinderung und Nachbarschaftszentren an. Unsere Sozialmärkte (SOMA) ermöglichen von Armut betroffenen Menschen einen günstigen Kauf von Dinge für den täglichen Bedarf. 

Nun zu mir – ich komme ursprünglich aus dem Finanzsektor. Bevor ich Teil des Wiener Hilfswerk wurde, habe ich in einer Bank gearbeitet und ein Wirtschaftsstudium absolviert.

Foto des Interviewpartners Simon Kronsteiner Projektleiter von Blockchain im humanitären Sektor des Wiener Hilfswerk
Simon Kronsteiner, MA
(c) Wiener Hilfswerk

Von der Finanzwelt zum Wiener Hilfswerk

Vom Finanzwesen in den humanitären Sektor – das ist ein sehr interessanter Karrierewechsel. Aber wie ist es dazu gekommen?

Ich habe festgestellt, dass mir in meiner Arbeit im Bankwesen der soziale Aspekt fehlte – so habe ich es mir als Ziel gesetzt, mein wirtschaftliches Wissen effektiv einzubringen, um Projekte im humanitären Sektor zu unterstützen und auf diese Weise sozial oder finanziell benachteiligten Menschen zu helfen.

Und sind Sie dann direkt von der Bank zum Wiener Hilfswerk gewechselt?

Nein, ich habe mich vorher dazu entschlossen meine „Komfortzone“ komplett zu verlassen, deshalb bin ich für zwei Jahre nach Uganda gegangen und dort habe ich soziale Projekte im Bereich Microfinancing unterstützt. Diese prägende Erfahrung hat mich darin gefestigt in meiner Zukunft in einer finanzberatenden Rolle für soziale Projekte zu arbeiten. Anfang 2018 habe ich dann meine Arbeit beim Wiener Hilfswerk gestartet.

Das Blockchain Projekt des Wiener Hilfswerk – Token4Hope

So, nun bin ich gespannt – Sie hatten beim Blockchain Projekt „Token4Hope“ des Wiener Hilfswerk eine federführende Rolle als Projektmanager – wie ist dieses Projekt eigentlich zustande gekommen?

Ende 2018 hat uns Collective Energy kontaktiert – hierbei handelt es sich um ein sehr innovatives Unternehmen und eine Crowdfunding Plattform in Wien. Collective Energy hat das Potenzial von Themenbereichen des Wiener Hilfswerk erkannt, die sich für Blockchain Anwendungen eignen könnten. So haben wir gemeinsam beschlossen, anhand von Testprojekten festzustellen, in welcher Form wir die Blockchain Technologie für das Wiener Hilfswerk nutzen könnten.

Wie und wann sind nun die konkrete Planung und Umsetzung gestartet?

Das ist eigentlich alles sehr schnell gegangen – Anfang 2019 war Kick-off für das Projekt. Gemeinsam mit den zwei Kooperationspartnern HumanVenture und Decent, die für die technische Umsetzung und Implementierung zuständig waren, haben wir bis April 2019 das erste Pilotprojekt erfolgreich beendet.

Token für SOMA-Sozialmärkte und Second-Hand Store

Nun bin ich sehr gespannt, bei welchen Projekten des Wiener Hilfswerk haben Sie nun die Blockchain Technologie eingesetzt?

Wir haben zwei Projekte des Wiener Hilfswerks ausgewählt, die ein großes Potenzial für den Einsatz von Blockchain vorwiesen. Für das erste Projekt haben wir im Rahmen einer Benefiz- Veranstaltung der Unternehmensberatung Bearing Point knapp 11. 000 Euro gesammelt. Diesen Betrag haben wir 1:1 in Token zu je 225 Euro umgewandelt und 48 Familien, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind und in der Wohnungslosenhilfe des Wiener Hilfswerks betreut werden, digital zur Verfügung gestellt. Mit dem SOMA-Pass konnten nun die Teilnehmenden in unseren SOMA-Sozialmärkten und dem „New Chance“ Second-Hand Shop die Token in Waren umwandeln.

Herr Kronsteiner, was kann man sich unter Sozialmärkten und dem New Chance Shop vorstellen und wie können hier Token in reale Produkte umgewandelt werden?

Eine unserer vielen Initiativen sind zwei Sozialmärkte, einer im 7. Und einer 14. Wiener Bezirk. Dort können Personen, die unter der Armutsgrenze leben, Lebensmittel, Hygieneprodukte und andere Waren des täglichen Bedarfs einkaufen. Im Rahmen unseres Blockchain Pilotprojekts wurden den teilnehmenden Haushalten die Gutscheine in digitaler Form gutgeschrieben. Durch das Scannen eines Codes wurde der Betrag an der Kassa vom Guthaben abgezogen.

Das klingt ziemlich technisch, war es schwer alle teilnehmenden Haushalte kommunikativ abzuholen und zu informieren?

Nein, eigentlich nicht. Das Interesse für diese neue Technologie war bei allen Beteiligten sehr groß. Natürlich haben wir im Vorfeld auch eine ausführliche Informationskampagne für alle Teilnehmenden gestartet. Dank der sozialarbeiterischen Betreuung funktionierte das besonders gut. Mit den Sozialarbeitern/innen wird stets sehr eng zusammengearbeitet. Sie waren auch die Hauptanlaufstelle für alle Fragen bezüglich des Testprojekts.

Token für die Lernclubs des Wiener Hilfswerks

Und worum handelte es sich bei dem zweiten Testprojekt?

Token4Hope Ausweise mit QR Code für Schüler der Lernclubs des Wiener Hilfswerk, mit dessen Hilfe Blockchain im humanitären Sektor genutzt wird.

Schüler/innen, die in unseren Hilfswerk Nachbarschaftszentren am Lernclub teilnehmen, waren hier unsere Zielgruppe. Im Lernclub erhalten Schüler/innen von freiwilligen Lernhelfern/innen Unterstützung bei ihren Hausaufgaben und für den Schulalltag. Alle teilnehmenden Kinder haben hierfür einen Ausweis mit QR-Code erhalten, der mit der Blockchain verbunden ist. Durch einen Scan des Codes am Anfang jeder Einheit konnten wir nachvollziehen, in welchem Ausmaß der Service des Lernclubs genutzt wird – natürlich wieder anonym für die teilnehmenden Kinder.

(c) Wiener Hilfswerk

Waren Sie mit dem Ergebnis der Testprojekte zufrieden?

Auf alle Fälle. Besonders gefreut hat es uns, dass dieses Projekt bei den Teilnehmenden so gut angekommen ist. Die Kinder haben sich zum Beispiel immer sehr über das Scannen ihres Ausweises gefreut.

Für uns als Organisation war es dank Blockchain sehr interessant, in Echtzeit mitverfolgen zu können, wann und ob das Guthaben genutzt wird – dies wird vom System sehr anschaulich dokumentiert. Gleichzeitig blieben Nutzerdaten natürlich anonym. Das digitale Voucher System hat die gesamte Abwicklung auch einfacher gestaltet und dank Blockchain ist der zugeteilte Gutscheinbetrag absolut sicher, nachvollziehbar und transparent beim Empfänger /in angekommen.

Die Zukunft von Blockchain im humanitären Bereich beim Wiener Hilfswerk

Der Erfolg der Testprojekte ist offensichtlich! Wie sehen Sie nun das zukünftige Potenzial dieser Technologie für das Wiener Hilfswerk?

Generell positiv, natürlich kommt das immer auf das Projekt an, für das Blockchain eingesetzt werden soll. Aber man muss immer im Hinterkopf behalten, dass die digitale Implementierung dieser Technologie mit einem relativ hohen Aufwand und Informationsbedarf verbunden ist. Hätte das Wiener Hilfswerk beispielsweise bei den Testprojekten nicht von der Unterstützung der involvierten Projektpartnern profitieren können, wäre eine Umsetzung nicht so einfach gewesen.

Wir sind auf alle Fälle offen für diese Technologie und setzen sie wieder ein, sobald wir wieder eine Möglichkeit dazu haben.

Herr Kronsteiner, ich bedanke mich herzlich für dieses interessante Gespräch und die Einführung in den Einsatz von Blockchain im Wiener Hilfswerk! Ich wünsche Ihnen und dem Wiener Hilfswerk viel Erfolg für alle weiteren Projekte!

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[…] muss man sich mit den damit verbundenen Kosten im Klaren sein. Wie im Beitrag zu dem Blockchain Einsatz beim Wiener Hilfswerk erwähnt wird, wäre eine Implementierung ohne externe finanzielle Unterstützung und […]

[…] in der Kosmetikindustrie anzukämpfen. Gemeinsam mit dem Unternehmen „Provenance“, das für Transparenz im Technologiesektor steht, hat Cult sogenannte „Proof Points“ für Produkte auf der Webseite […]

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