Gebäude ohne Heizung, Kühlung und Lüftung: das Konzept 2226

Abbildung 1: Haus 2226, Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten in Lustenau (Vorarlberg) | Quelle: Eduard Hueber, archphoto © Baumschlager Eberle Architekten

Ein Gebäude, das ganz ohne Heizung auskommt? Und das auch noch im Winter – einem österreichischen Winter wohlgemerkt – das klingt zu gut, um wahr zu sein. Doch dieses Haus gibt es tatsächlich. Seit 2013 steht es im vorarlbergischen Lustenau. Es dient Baumschlager Eberle Architekten als Firmensitz und bietet rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen angenehmen Arbeitsplatz: Ganz ohne Heizung, Klimaanlage und Lüftungssystem und den namensgebenden Wohlfühltemperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius. Das Gebäude ist jedoch kein reines Bürohaus. Im Erdgeschoss sind eine Kunstgalerie und eine Cafeteria untergebracht. In den darüberliegenden fünf Stockwerken befinden sich neben den Architekten noch weitere Büros, Sportstudios und eine Wohnung. Insgesamt leben und arbeiten rund 60 Personen darin.

Im Gespräch: Yasemin Yalcin-Chauca von der 2226 AG

Wie es zum Konzept 2226 kam, wer es entwickelt hat und wie es funktioniert erzählt uns Yasemin Yalcin-Chauca. Sie ist, neben Martin Feuerstein, eine der beiden Geschäftsleitenden der 2226 AG und damit eine ausgewiesene Expertin zum Thema. Wir haben mit ihr auch über die aktuellen Entwicklungen in der Baubranche und zum Thema CO2-Fußabdruck gesprochen.

Exkurs: Was macht die 2226 AG?

Nach dem Erfolg des Hauses 2226 machte das Konzept Schule und hat bereits in unterschiedlichen Typologien Erfolg. Um künftig noch mehr Immobilienprojekte nach dem Konzept 2226 zu entwickeln, zu realisieren und zu vermarkten, wurde im Jahr 2015 unter dem Dach der be architects holding AG die 2226 AG gegründet. Die beiden Geschäftsleitenden Yasemin Yalcin-Chauca und Martin Feuerstein bieten eine umfassende Beratung und begleiten 2226 Projekte von der Konzeption über die objektspezifische Integration des 2226 Operating Systems bis zum laufenden Betrieb des Gebäudes. Mehr dazu im Folgenden.

Yasemin Yalcin-Chauca
Abbildung 2: Yasemin Yalcin-Chauca, Mitglied der Geschäftsleitung der 2226 AG | Quelle: © 2226 AG

Wohlfühlen bei konstant 22 bis 26 Grad Celcius – ohne Heizung, Kühlung oder Lüftung. Wie geht das?

Yasemin Yalcin-Chauca: Wir arbeiten mit einem massiven thermischen Speicher, mit starken Decken und Wänden. Die Mauern sind mit rund 76 cm sehr kompakt, bestehen aus einem zweischaligen Mauerwerk und kommen ohne zusätzliches Dämmmaterial aus. Der Baukörper bietet ein optimales Verhältnis von Oberfläche und Volumen. Dazu kommt ein effizienter Fensteranteil: die hohen Fenster mit tiefen Fensterlaibungen halten die Räume im Sommer frisch und im Winter sorgt der optimierte Lichteinfall für Helligkeit. Die Lenkung der Energieströme erfolgt über das 2226 Operating System. Diese Software steuert Wärmehaushalt, Feuchtigkeit und den CO2-Gehalt der Innenraumluft über automatisierte Lüftungsflügel.
Als Wärmequellen im Haus 2226 dienen die Nutzerinnen und Nutzer selbst. Tatsächlich hat jeder Mensch eine Abwärme von 80 Watt. Das entspricht der Wärmeleistung einer konventionellen Glühbirne – natürlich, bevor es LED Lampen gab. Dazu erzeugen Computer, Kopierer, Drucker und Kaffeemaschinen durchgehend Wärme im Büro. Summiert man diese Wärmeabstrahlungen und das Zusammenwirken von Architektur und Software führt das zum Temperaturspektrum von 22 bis 26 Grad. Deshalb heißt das Gebäude auch ganz einfach 2226.         

Abbildung 3: Haus 2226, Lustenau (Vorarlberg) | Quelle: Eduard Hueber, archphoto © Baumschlager Eberle Architekten

Wie kam es zu der Idee Gebäude ohne Heizung, Lüftung und Kühlung zu errichten?

Yasemin Yalcin-Chauca: Professor Dietmar Eberle, Namensgeber und einer der Gründer von Baumschlager Eberle Architekten, trug diese Idee lange Zeit durch sein Architektenleben. Seiner Ansicht nach muss Architektur im verstärkten Maß dazu beitragen, dass die Energieverbrauche im Bauen geringer werden. Mit dem Haus 2226 hat er auch gezeigt, dass Architektur im Zusammenspiel mit einer optimalen Software die Langlebigkeit von Gebäuden nachhaltig steigern kann. Das Konzept 2226 löst somit Herausforderungen im Bauen der Gegenwart, um unsere Zukunft lebenswerter zu machen.

Gab es zu Beginn Skeptiker*innen?

Yasemin Yalcin-Chauca: Natürlich war am Anfang eine gewisse Skepsis vorhanden: Funktioniert das? Wie sieht das in der Umsetzung aus? Wie fühlt sich das an in einem 2226 Gebäude zu arbeiten oder sogar zu wohnen? Daher hat Dietmar Eberle das Haus 2226 zunächst in Eigenregie entwickelt und realisiert. Ein Prototyp, der beweist, dass das Konzept 2226 funktioniert! Die Auftraggeber*innen überzeugt vor allem die Einfachheit des Konzepts. Auch setzen die 2226 Gebäude Maßstäbe hinsichtlich Energie und Flächeneffizienz. Und die Nutzer*innen bestätigen uns eine hohe Aufenthaltsqualität.   

Abbildung 4: 2226 Emmenweid, Emmenbrücke (CH) | Quelle: © Roger Frei

Besteht ein erhöhter Strombedarf durch die intelligente Gebäudesteuerung?

Yasemin Yalcin-Chauca: Nein.

Was passiert, wenn die Gebäudesteuerung ausfällt?

Yasemin Yalcin-Chauca: Bei der Gebäudesteuerung handelt es sich um eine Software, welche nicht ausfallen kann. Bei einem höchstunwahrscheinlichen Ausfall des Servers, ist dieser durch einen Fallbackserver abgesichert.  

Abbildung 5: 2226 MFH Graf Dornbirn (Vorarlberg) | Quelle: © René Dürr

Welche Projekte konnten bereits realisiert werden und gibt es weitere Projekte, die in den nächsten Jahren nach diesem Konzept errichtet werden? Wenn ja, wo?

Yasemin Yalcin-Chauca: Es konnten bereits einige Projekte realisiert werden: Das 2226 Emmenweid (CH), das 2226 Lingenau (AT) und im vergangenen Sommer wurde das 2226 MFH Graf in Dornbirn (AT), als erstes reines Wohnhaus, das maßgeblich ohne technische Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen auskommt, errichtet. Ein weiteres 2226 Projekt wird bis 2023 in Schlieren, das liegt in der Nähe von Zürich, in einem noch größeren Maßstab als bisher fertig gebaut sein. Mit rund 18.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche. Weitere Projekte in weiteren Typologien in Österreich, Deutschland, Frankreich und China sind in Planung und im Bau.

Abbildung 6: Außenansicht 2226 Lingenau (Vorarlberg) | Quelle: Eduard Hueber, archphoto © Baumschlager Eberle Architekten

Merken Sie, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Gebäuden in den letzten Jahren gestiegen ist? Spüren Sie ein Umdenken innerhalb der Branche?

Yasemin Yalcin-Chauca:  Ja. Wir führen viele Gespräche mit interessierten privaten und institutionellen Auftraggeber*innen. Es gibt definitiv ein starkes Umdenken in der Branche. Die angestrebten Klimaziele sind ambitioniert, aber notwendig.

Das Haus 2226 in Lustenau, wurde vor knapp acht Jahren fertig gestellt. Nach so langer Zeit durften wir nun Bilanz ziehen – oder besser gesagt: von unabhängiger Stelle, eine Ökobilanz ziehen lassen. Die Studie wurde vom Vorarlberger Energieinstitut durchgeführt – dessen Ziel es ist bis 2050 die Energieautonomie des Landes Vorarlberg, welches auch Lustenau einschließt, zu erreichen. 
Fokus der Studie ist die Bewertung des Haus 2226 in Lustenau mit Blick auf Energiebedarf und Klimaerwärmungspotential im Lebenszyklus. Der Betrachtungszeitraum ist mit 100 Jahren gewählt und Erneuerungszyklen sind berücksichtigt. 
Das Besondere daran ist, dass keine theoretischen, sondern im Jahr 2018 real gemessenen und aufgezeichneten Daten wie Wetterdaten, Energieverbrauch, Temperaturverläufe und CO2-Konzentrationen der Raumluft des 2226-Prototypen die Grundlage bilden. Zur Einordnung der Ergebnisse für das Haus 2226 werden für zwei Vergleichsvarianten des architektonisch unveränderten Gebäudes, jedoch mit herkömmlichem Konstruktions- und Haustechniksystem, zwei gleichartige Berechnungen durchgeführt.
Das Ergebnis zeigt erneut den positiven Effekt des fast gänzlichen Verzichtes auf Haustechnik. Besonders beim Ökoindex und beim Beitrag zur Globalen Erwärmung (GWP total), auch Treibhauspotential genannt, schneidet das Haus 2226 besser ab als die Vergleichsvarianten. Der Komfort ist trotz der fehlenden Haustechnik gegeben – die Betrachtung der Behaglichkeitsbewertung anhand der realen Daten zeigt auf, dass in Lustenau ganzjährlich hohe Komfortklassen erreicht werden.

Abbildung 7: Innenansicht 2226 Lingenau (Vorarlberg) | Quelle: Eduard Hueber, archphoto © Baumschlager Eberle Architekten

Dürfen Sie über den Preis sprechen? Sind die Errichtungskosten höher als bei einem Haus, welches nach einer konventionellen Bauweise errichtet wurde?

Yasemin Yalcin-Chauca: Die Baukosten für das Haus 2226 lagen bei rund 1.450 € pro Quadratmeter.
Durch die stark reduzierte Gebäudetechnik können sogar langfristig Kosten eingespart werden. Die Ziegelwände sind für die Dauer von mindestens einem Jahrhundert gebaut, die Haustechnik in einem in gängiger Bauweise errichtetem Haus muss nach rund 20 Jahren ausgetauscht werden. Auf den Betrachtungszeitraum von 50 Jahren liegen die Lebenszykluskosten eines nach dem 2226 Konzept errichteten Gebäudes in etwa bei der Hälfte gegenüber einer Standardimmobilie (Pelzeter, 2017).Außerdem reduzieren sich die laufenden Betriebskosten enorm.

Gibt es neben 2226 noch weitere Konzepte und Ideen, die Sie in Richtung CO2-Ersparnis entwickeln?

Yasemin Yalcin-Chauca: Derzeit gibt es kein Konzept, das mit 2226 zu vergleichen wäre, an dem wir arbeiten.

Key takeaways: 

  • Gebäude können ohne Heizung, Kühlung und Lüftung auskommen
  • Eine ausgeklügelte Software und eine dichte Gebäudehülle sorgen für konstante Innentemperaturen 
  • Eine nachhaltige Bauweise muss nicht zwingend mit mehr Mehrkosten verbunden sein

Literaturverzeichnis

Pelzeter, A. (2017). Lebenszyklus-Management von Immobilien (DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.; 1. Auflage). Beuth Verlag GmbH.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Haus 2226, Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten in Lustenau (Vorarlberg)
Hueber, E. (2020). 2226 Lustenau. Baumschlager Eberle Architekten. https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-lustenau-1/

Abbildung 2: Yasemin Yalcin-Chauca, Mitglied der Geschäftsleitung der 2226 AG
2226 AG. 

Abbildung 3: Haus 2226, Lustenau (Vorarlberg)
Hueber, E. (2020). 2226 Lustenau. Baumschlager Eberle Architekten. https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-lustenau-1/

Abbildung 4: 2226 Emmenweid, Emmenbrücke (CH)
Frei, R. (2020). 2226 Emmenweid. Baumschlager Eberle Architekten. https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-emmenweid-schweiz/

Abbildung 5: 2226 MFH Graf Dornbirn (Vorarlberg)
Dürr, R. (2020). 2226 MFH Graf Dornbirn. Baumschlager Eberle Architekten. 
https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-graf/

Abbildung 6: Außenansicht 2226 Lingenau (Vorarlberg)
Hueber, E. (2020). 2226 Lingenau. Baumschlager Eberle Architekten. 
https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-lingenau/

Abbildung 7: Innenansicht 2226 Lingenau (Vorarlberg)
Hueber, E. (2020). 2226 Lingenau. Baumschlager Eberle Architekten. 
https://www.2226.eu/die-umsetzung/projekte-details/2226-lingenau/

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